Die Idee
Am Anfang standen Bilder: die Tulpenfotografien von Josh Westrich und die Bilder blühender Tulpenfelder in Vogelperspektive. In einem meiner zahlreichen Drehbuchtutorials hatte ich gelesen, dass es mindestens zwei Bilder in jedem Film geben sollte, die dem Zuschauer im Gedächtnis bleiben. Beseelt vom visuellen Potenzial und dem spannungsreichen historischen Hintergrund des Tulpenwahns konsultierte ich als erstes die International Movie Database mit der Frage: Gibt es da schon etwas? 2012 fand ich nur den Hinweis auf eine ZDF-Literaturverfilmung aus dem Jahr 1968, mit dem Titel „Adrian der Tulpendieb“, die als erste ZDF Sendung, die in Farbe ausgestrahlt wurde, in die Rundfunkgeschichte einging.
Das Drehbuch
Der zeitliche Abstand war groß genug und so begann ich, Figuren und einen Plot zu entwerfen. Dabei wollte ich mich nicht auf den wirtschaftsgeschichtlichen Hintergrund, das Platzen der ersten Spekulationsblase, konzentrieren. Mich interessierte vielmehr die Frage, was einen Liebhaber dazu bringt, astronomische Summen für das Objekt der Begierde zu bezahlen. Worin liegt die Faszination? Wann wird aus einer harmlosen Sammlerleidenschaft etwas Monströses? Wo hört Leidenschaft auf und fängt ein potenziell zerstörerischer Wahn an?
Für die Recherche zum Drehbuchprojekt erwies sich die Malerei der Zeit als ungeheuer hilfreich. Insbesondere auf den Genrebildern Jan Steens konnte ich Antwort auf unzählige Fragen finden, die ich in der Sekundärliteratur recht mühsam hätte suchen müssen. Kaum eine Epoche ist durch die Malerei so gut dokumentiert wie das „Goldene Zeitalter“. Diesen Schatz habe ich weidlich genutzt. In meinem Drehbuch wollte ich dieser Tatsache Rechnung tragen, indem ich Einstellungen vorsah, die von der Bildkomposition, Farbwahl und Lichtregie an Ölgemälde aus der Zeit erinnern sollten: Gemälde, die dann im Film plötzlich zum Leben erwachen. Als ich schweren Herzens das Drehbuch in einen Roman umschrieb, habe ich mich zunächst geärgert, dass dieser Effekt verloren gehen würde, bis ich dann doch eine literarische Umsetzung gefunden habe.
Aber zurück zum Drehbuch: Ich startete meine übliche Klinkenputzer-Runde und bekam relativ bald positive Resonanz, zunächst von der damaligen Lektorin bei Boje Buck, die zwar den Film im eigenen Haus nicht realisieren konnte, aber mich wärmstens an eine Kollegin einer anderen Firma weiterempfahl. Das Problem an einem Historienfilm sind die enormen Produktionskosten. Die Tatsache, dass ich als Autorin weder Beziehungen noch Referenzen hatte, erwies sich auch nicht als hilfreich. Leider war die Lektorin der anderen Produktionsfirma nicht gleichermaßen begeistert, so dass meine Suche weitergehen musste. Trotzdem fand ich noch zwei weitere Produktionsfirmen, die unabhängig voneinander Interesse am Drehbuch zeigten. Und dann platzte die Bombe: In Hollywood wurde an der Verfilmung eines Romans namens „Tulpenfieber“ gearbeitet. Das war das Aus. Eine Lektorin sagte es mir offen, dass sie nicht gegen Hollywood mit einem fast gleichlautenden Filmtitel antreten könnten. Sie beglückwünschte sich noch selber, den richtigen Riecher gehabt zu haben, aber nun sei das Thema „verbrannt“.
Die Konkurrenz
Tulpenfieber! Ich hatte den Roman gelesen. Mitten in meiner Arbeit am Drehbuch war ich auf den Roman von Deborah Moggach gestoßen und tatsächlich leicht in Panik geraten. Ich besorgte ihn mir umgehend antiquarisch, da er zu dieser Zeit nicht mehr erhältlich war. Es handelt sich um die Geschichte eines gehörnten Alten vor dem Hintergrund des Tulpenwahns, der letztlich nur eine beliebige Kulisse zu einem recht vorhersagbarem Geschehen darstellte. Da der Roman wenig Beachtung gefunden hatte und bereits zehn Jahre alt war, hatte ich ihn einigermaßen beruhigt zur Seite gelegt und gedacht: Das verfilmt keiner. Was ich nicht wusste war, dass die Autorin auch Drehbücher schreibt. Mit „Best Exotic Marigold Hotel“ hatte sie später einen Hit gelandet und wie das so ist, wenn erst einmal ein Erfolg da ist, dann kramt man in der Mottenkiste, ob noch was zu holen ist. Plötzlich war der Roman wieder überall erhältlich. Auf der englischen Ausgabe prangte dann auch der Aufkleber mit dem Schriftzug: „by the author of ‚Best Exotic Marigold Hotel‘“. So funktioniert das.
Der Roman
Ich musste mich neu aufstellen. Einer meiner Drehbuchcoaches meinte, ich dürfe mich nicht auf Drehbücher festlegen und sollte es mit Romanen versuchen. Nachdem ich es mit meinem vierten Drehbuch trotz professioneller dramaturgischer Betreuung auch nicht auf die Leinwand geschafft hatte, nahm ich den Rat an und begann, meine Drehbücher umzuschreiben. Ich überlegte als erstes, welches Drehbuch sich am besten eignen würde. Ich glaubte, das Komödien am ehesten Chancen beim Publikum hätten und entschied mich für `Driving Tom Hanks‘, das in der Romanform zu ‚Driving Phil Clune‘ werden musste. Da für mich die Stärke des Tulpenwahnstoffes in den Bildern lag, scheute ich vor einer Romanfassung zurück. So wurden die Tulpenzwiebeln zugunsten des Taxis zunächst eingekellert.
Die Entstehungsgeschichte von Driving Phil Clune und Corpus delectat soll hier nicht das Thema sein, nur soviel: Die Lehren, die ich aus der Publikation der beiden Romane zog, waren, dass literarische Komödien es schwer haben und dass Self-Publishing für mich eine Sackgasse ist. Außerdem habe ich erfahren, dass man einen Literaturagenten braucht und man nicht gleich mit dem Schreiben eines gesamten Romans in Vorleistung treten sollte.
Der Literaturagent
Ich beschloss in den Keller zu gehen und die Zwiebeln zurück ans Tageslicht zu holen. Beim Schreiben der ersten 30 Seiten bemühte ich mich weiterhin, den visuellen Fokus aufrecht zu erhalten und die tausend Wörter zu finden, die ein Bild ersetzen mussten. Ich hatte mir vorgenommen nicht weiterzuschreiben, bevor nicht Interessensbekundungen vorlagen. Ich verschickte also meine Probeseiten an ungefär 30 Agenturen. Insgesamt sieben Agenturen wollten den ganzen Roman lesen, was mich dazu ermutigte, ihn auch zu Ende zu schreiben. Als ich mit der Rohfassung gerade fertig war, erhielt ich die siebte Interessensbekundung. Man wollte meinen Roman ganz lesen – egal ob Rohfassung oder ausgearbeitet. Ich schickte also mein halbgares Manuskript ein, das in der Agentur mit einhelliger Begeisterung aufgenommen wurde. Ich unterzeichnete den Agenturvertrag und ließ die Korken knallen. In vorschneller Begeisterung glaubte ich, den Flaschenhals in das öffentliche Bewusstsein passiert zu haben!
Nach der Begeisterung folgte Ernüchterung. Es setzte eine Rangelei über den Titel ein. Die Agentur bestand darauf, den Roman unter einem Titel zu vermarkten, der meines Erachtens weder zu Inhalt noch Thematik passte und falsche Erwartungen weckte. Ich vertraute jedoch der Expertise der Agentur, die den Roman allen großen Publikumsverlagen vorstellte. Auch wenn man ihm literarische Qualitäten zubilligte, kamen wir mit niemandem ins Geschäft. Erschwerend hinzu kam, dass gerade erst ein Jahr zuvor der Film „Tulpenfieber“ in den Kinos gelaufen war und den Stoff in das Bewusstsein auch anderer Autoren gebracht hatte. Einige Verlage hatten einen ähnlichen Stoff von einem im Zweifelsfall bekannterem Autoren bereits eingekauft.
Von Louisoder zu Ruhland
Der Agenturvertrag wurde gelöst und ich stand wieder am Anfang. Ich brachte es immer noch nicht über mich, die Zwiebeln zu kompostieren und schrieb kleine Independent-Verlage an. Kleinverlage spezialisieren sich oftmals sehr und sprechen ganz bestimmte Zielgruppen ab. Es fiel mir schwer, für meinen Roman, der auf ein breites Publikum abzielt, einen Verlag zu finden. Ich hatte gerade einmal 15 Verlage angeschrieben, als mir der Louisoder-Verlag ein Vertragsangebot machte. Ich war froh und erleichtert, weil ich das Gefühl hatte, das der Roman besser verstanden wurde, als es in der Literaturagentur der Fall gewesen war.
Nur wenige Wochen vor der Veröffentlichung dann der nächste große Knall: Der Verlagseigner war verstorben und der Verlag musste abgewickelt werden. Das Buchprojekt wurde nicht mehr realisiert. Mein Verleger bemühte sich daraufhin sehr, meinen Roman an einen befreundeten Verleger zu vermitteln, der das Buch mit einer halbjährigen Verzögerung publizieren sollte. Wieviel Wunschdenken dabei war, erfuhr ich, als ich meinen Verleger in spe zum ersten und letzten Mal auf der Frankfurter Buchmesse traf. Die Folge war ein monatelanges Ghosting, bis ich schließlich selber die Reißleine zog und meine Geschicke erneut in die eigene Hand nahm. Ich kramte meine Liste der Independent-Verlage wieder aus der Schublade. Der Ruhland-Verlag zeigte sich interessiert. Da man mir dort eine kurzfristige Veröffentlichung anbot, willigte ich ein. Als ich im November 2020 den Vertrag unterschrieb, knallten keine Korken. Das habe ich mir für das Frühjahr aufgehoben – wenn die Tulpen blühen.
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